Es ist Schabbat, Samstag, der siebte Tag, Zwischenzeit. Die europäische Kultur hat es verlernt, am siebten Tag zu ruhen. Der Sonntag ist zum Wochenende geworden. Dabei ist er eigentlich der Wochenbeginn, der erste Tag, der Tag der Schöpfung, der Tag, an dem alles begann. Es war wohl Kaiser Konstantin, der den Tag der Sonne zum freien Tag erklärte. Schließlich wurde am ersten Tag der Woche nach christlicher Überlieferung die Auferstehung Jesu offenbar. Am Karfreitag sah alles noch anders aus. Der große Aufbruch, die Erneuerung, die Botschaft vom nahen Reich Gottes – all das schien gescheitert. Der Rabbi aus Nazareth endete am Kreuz – verflucht und gottverlassen. Kein Wunder, dass seine Leute das Weite suchten. Was glauben Sie denn?
Nach der Überlieferung stirbt er an einem Rüsttag, also dem Tag vor dem Schabbat – wohl in der neunten Stunde, also etwa um 15. Als sicher kann gelten, dass sein Tod im Umfeld des Pesachfestes eintritt. Es ist Frühjahr. Das Äquinoktium, die Tag- und Nachgleiche ist nicht fern. Die Sonne wird also etwa gegen 18 Uhr untergehen. Es wird der Beginn eines neuen Tages sein, heißt es doch in der ersten Schöpfungserzählen: „Es ward Abend, es ward Morgen, ein Tag“. Mit dem Sonnenuntergang also wird der Schabbat beginnen, der Tag der Ruhe.
Nach den Evangelien soll der am Kreuz gestorbene Jesus deshalb noch am selben Tag bestattet werden. Ein gewisser Joseph von Arimathäa – wahrscheinlich ein Pharisäer, der mit Jesus sympathisierte – will sich damit nicht zufrieden geben. Zwischen dem Eintritt des Todes und dem Sonnenuntergang liegen gerade einmal drei Stunden. In dieser kurzen Zeit muss man von Pilatus entgegen allen römischen Gepflogenheiten um den Leichnam „bitten“ (sicher die Einbringung finanzieller Motivationen); drei Stunden um den Leichnam vom Kreuz zu nehmen; drei Stunden, um ihn eiligst ins Grab zu bekommen, bevor die im Frühjahr noch langen Schatten des Leichnams auf einen fallen und so kultisch unrein machen. Nein! Der allererste Karfreitag war ganz sicher kein ruhiger Trauertag.
Schabbat ist Ruhetag. Erst mit dem ersten Licht des ersten Tages der Woche wird man wieder zum Grab gehen können. Man wird es leer finden. Panik wird ausbrechen, noch lange kein Glaube. Wo ist der Leichnam Jesu? Erst die Begegnung mit dem Auferstandenen wird zum Wendepunkt werden am ersten Tag der Woche – das ist morgen!
Es heißt ja im Lukasevangelium, dass Jesus dem mit ihm gekreuzigten Mörder verheißt, er werde mit ihm „heute noch“ im Paradies sein (vgl. Lukas 23,43). Sollte sich die Auferstehung schon im Tod ereignen? Paulus jedenfalls scheint das so zu sehen, Lukas auch. Was hat der Auferstandene dann aber am Schabbat gemacht, in der Zeit zwischen Kreuzestod und den Begegnungen am Sonntagmorgen? Bereits im 1. Petrusbrief 3,19 deutet sich an, was im apokryphen Nikodemus-Evangelium breit entfaltet wird: Der Auferstandene steigt am Schabbat in die Unterwelt hinab, um alle, die dort verharren zu befreien. Orthodoxe Ikonen zeigen dieses Geschehen eindrücklich: Der Auferstandene steht siegreich vor einem aufgesprengten Grab. Er neigt sich hinab und holt die Menschen aus der Unterwelt. Zuletzt hilft er einem nackten Paar hinauf: auch Adam und Eva, die ersten Menschen, werden gerettet.
Schabbat, das ist der Tag der Rettung. Alle sollen die Chance bekommen, zum Leben zu finden. Schabbat ist eine Zäsur, eine Zwischenzeit, ein Tag Lockdown, um das Leben und sich selbst zu entdecken. Heute ist Schabbat, jetzt ist Schabbat – Gottes freier Tag, den Menschen zur Freiheit gegeben! Was für ein Tag! Wieviel hätten wir Christen doch zu lernen, wenn wir uns unserer Wurzeln erinnerten – auch und gerade in diesen Zeiten. Jetzt ist Schabbat!
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 3. April 2021.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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